25 Oktober 2021 - Der Herr lehrt uns, alle Menschen so zu behandeln, wie wir selbst von ihnen behandelt werden möchten
18. Oktober 2021 – Am 17. Sonntag nach Pfingsten predigte Erzbischof Tichon von Rusa in der Hl. Alexios-Kirche in Leipzig
Die Lesung des heutigen Sonntagsevangeliums, Brüder und Schwestern, spricht von unserer christlichen Pflicht zueinenander und gegenüber allen Menschen, sie spricht vom Wesen des Christentums – von der Liebe, darüber, was wichtigstes Zeichen dafür ist, dass wir Jünger Christi sind.
So viele falsche Lehren existieren über die Wahrheit Christi, so viele verzerrte Vorstellungen existieren über die Liebe, denn Liebe und Wahrheit sind untrennbar. Doch bevor wir lernen können zu lieben, muss jeder von uns sich selbst dazu bringen, nach Gottes Gesetz zu leben. „Wie ihr wollt, dass die Menschen euch tuen“, lehrt der Herr, „so tut ihnen auch ihr“ (Lk 6,31). Was bedeutet das? – Was ihr für euch selbst wünscht, das wünscht auch den anderen. Und umgekehrt, was ihr euch für euch selbst nicht wünscht und nicht tut, das wünscht und tut auch den anderen nicht. Der Herr lehrt uns somit, alle Menschen so zu behandeln, wie wir selbst von ihnen behandelt werden möchten. Das Maß unserer Beziehungen zu allen Menschen ohne Ausnahme muss Respekt, Mitgefühl, Barmherzigkeit und Nachsicht sein.
Christus sagt: „Richtet nicht, und ihr werdet nicht gerichtet werden. Verzeiht, und euch wird verziehen werden. Gebt, und es wird euch gegeben werden. Mit dem Maß, mit dem ihr messt, werdet auch ihr gemessen werden“ (Lk 6,37-38). Jeder möchte, dass die Menschen ihm seine Sünden vergeben, was bedeutet, dass auch er den Menschen ihre Versündigungen vergeben muss. Jeder möchte, dass man ihn in seinem Kummer bemitleidet und man sich in seiner Freude mitfreut, also soll er auch den Kummer der Menschen mitfühlen und sich an ihrer Freude erfreuen. Lasst uns bekennen, Brüder und Schwestern, dass jeder von uns seine Fehler hat. Wir alle sündigen, wir alle machen Fehler, wir alle tun unüberlegte und sogar schlechte Dinge. Aber was kann diese Unzulänglichkeiten überdecken außer der Liebe? Wer kann uns verzeihen, wenn er nicht liebt? Deshalb gebietet der Apostel Paulus, sich zueinander zuzuwenden mit aller Demut, Sanftmut, Langmut und Liebe (Eph 4,2) und befiehlt: „Alles geschehe bei euch in Liebe“ (1 Kor 16,14).
Alle Weisen der Welt vor Christus, Brüder und Schwestern, haben die Regel bekräftigt, anderen kein Unrecht zu tun. Aber der Erlöser Christus geht noch weiter und bestätigt nicht nur diese Regel, sondern er befiehlt, nicht allein diejenigen zu lieben, mit denen wir verbunden sind durch die Bande der Verwandtschaft oder der Freundschaft, sondern sogar die Feinde. Vor Christus konnte niemand solches auch nur denken. „Liebet eure Feinde und tut Gutes und leiht, ohne etwas zu erwarten, und ihr werdet den Lohn empfangen vom Himmlischen Vater“ (Lk 6,35), gebietet der Herr. Die christliche Liebe sollte höher sein als die gewöhnliche, menschliche Liebe. Sie muss sich nicht nur auf die Eigenen, sondern auch auf Fremde erstrecken, nicht nur auf die Freunde, sondern auch auf die Feinde. Der Herr selbst hat diese Liebe am Kreuz gezeigt, damit alle sie sehen können. In ihr liegt die Vollkommenheit, so dass jeder von uns lernt, nach dem Gebot des Herrn vollkommen zu sein (Mt 5,48).
Manchmal sind wir schnell dabei, unseren Nächsten einen Feind zu nennen, denjenigen, der uns beleidigt oder verletzt hat, der uns freiwillig oder unfreiwillig Unbehagen und Schmerz bereitet hat. Wir sollten jedoch wissen, dass der eigentliche Feind des Menschen der Teufel ist, er, der der Seele und unserem Heil schadet, der uns hasst, der versucht, uns das Leben zu nehmen. Die Liebe zu unseren fehlgeleiteten Nächsten, unseren persönlichen Feinden, unseren „Hausgenossen“ (Mt 10,36) muss darin bestehen, sich nicht zu rächen, sondern Gutes zu tun, zu dulden, zu ermahnen und zu beten.
In der Liebe liegt also das Wesen des christlichen Glaubens, Brüder und Schwestern. Wir sind berufen zu lieben, und wir müssen dies Schritt for Schritt lernen, im Laufe unseres ganzen Lebens. Bemühen wir uns, alle Menschen wie uns selbst zu lieben. Versuchen wir, sowohl unsere Eigenen wie auch die Feinde zu lieben, auch diejenigen, die uns Unrecht getan haben, diejenigen, die uns beleidigt haben, diejenigen, die uns verletzt haben. Zu lieben bedeutet, ihr Unrecht mit Güte zu vergelten, zu vergeben, für sie zu beten, denn nur mit Gottes Kraft, die uns durch das Gebet gegeben wird, können wir dies große Gebot erfüllen. Nur wenn wir Gottes Gebot von der Feindesliebe durch unser Leben erfüllen, werden wir erkennen, dass Gott Liebe ist (1 Jo 4,8). Mögen die Beispiele christlicher Liebe der heiligen Helden des Glaubens und der Frömmigkeit jeden von uns zu einer solchen Tugendtat inspirieren. Amen.