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15 Dezember 2021 - Der Herr zeigt uns, dass es unmöglich ist, Gott zu lieben, ohne dem Nächsten Liebe zu erweisen

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12. Dezember 2021 – Predigt von Erzbischof Tichon am 25. Sonntag nach Pfingsten am Ende der Göttlichen Liturgie in der Auferstehungskathedrale in Berlin

Die Sonntagslesung, die wir gehört haben, Brüder und Schwestern, erzählt uns, wie der Herr Jesus Christus, wie es seine Gewohnheit war, an einem Sabbat in die Synagoge ging, um zu beten. Er kam mit den dort betenden Gläubigen zusammen, nicht weil Er das musste, sondern um uns zu zeigen, wie wir uns verhalten sollen: jeden Sonntag und jeden Festtag sollen wir unbedingt im Tempel Gottes sein. Die Einhaltung der Festtage ist ebenso ein Gebot wie „Du sollst nicht stehlen“, „Du sollst nicht ehebrechen“, „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren“ und andere.

Unter den Betenden im Tempel war auch eine unglückliche Frau. Sie war achtzehn Jahre lang von einem Geist der Gebrechlichkeit besessen und zu Boden gekrümmt, trotzdem fand sie in sich die Kräfte, um sich mit Mühe fortzubewegen, und ging zum Gebet in den Tempel. Für sie war es wichtig, in den Tempel zu kommen, wo das Wort Gottes verkündet, wo die Seele mit Freude erfüllt, wo der Mensch durch den Geist lebendig wird und wo das Wichtigste geschenkt wird: Um ihrer Treue zum Gebot Gottes, ihrer Liebe zum Tempel, ihrer Demut und Geduld willen vollbrachte der Herr das Wunder: Er heilte die Frau von ihrer schweren Krankheit.

Aber, während die gekrümmte Frau von ihrem Leiden geheilt wird und Gott verherrlicht, wird der Aufseher des Gesetzes und der Vorsteher der Synagoge verfinstert: Er ist entrüstet darüber, dass Christus die Kranke „am Sabbattag“ (Lk 13,14) geheilt hat, was seiner Meinung nach am Festtag nicht hätte getan werden dürfen. Der Herr aber tadelte den Gesetzeslehrer wegen seiner Heuchelei vor allen Leuten. „Bindet nicht jeder von euch am Sabbat einen Ochsen oder einen Esel von der Krippe los und führt ihn weg, um ihn zu tränken?“ – fragt Christus. – „Und sollte da diese Tochter Abrahams, die der Satan achtzehn Jahre lang gebunden hielt, nicht am Sabbat von dieser Fessel befreit werden?“ (Lk 13,16). Heuchelei ist eine der abscheulichsten Sünden. Heuchelei bedeutet, sich den Anschein geben, nicht das zu sein, was man wirklich ist. Das Regelwerk stand für den Synagogenvorsteher über dem Menschen, über dessen Schmerz und den Leiden, die er ertragen musste.

Der Herr zeigt uns, Brüder und Schwestern, dass es unmöglich ist, Gott zu lieben, ohne dem Nächsten Liebe zu erweisen. Der ganze Sinn der christlichen Frömmigkeit – die Gottesverehrung, der Tempelbesuch, das Mühen um Tugenden – erschließt sich allein in der Liebe, im Erlangen der Barmherzigkeit und dem Mitgefühl gegenüber einem anderen Menschen. Das Wichtigste für einen Christen ist daher allezeit, stets die Liebe zu bewahren. „Daran werden alle erkennen, dass ihr Meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt“ (Jo 13,35). Inmitten der Herzlosigkeit und Grausamkeit, inmitten des Egoismus und der Gleichgültigkeit, die heute in der Welt herrschen, müssen Christen tätige Liebe zeigen. Das ist das Einzige, was einen Christen immer von anderen Menschen unterscheiden wird. Möge Gott uns geben, dass unser Eintreten in den Tempel zum Gebet uns zur Erfüllung des Gebotes der Liebe zu Gott und zum Nächsten stärkt. Amen.