22 Februar 2022 - Wer seine Sünden eingesehen hat, muss sein sündiges Leben verlassen und ein Leben nach dem Evangelium beginnen
21. Februar 2022 – Am Sonntag des verlorenen Sohnes feierte Erzbischof Tichon die Göttliche Liturgie in der Gemeinde der Ikone der Gottesmutter von Žirovicy in Gießen. Nach der Entlassung richtete Erzbischof Tichon die folgende oberhirtliche Ansprache an die Gemeinde.
„Gestern haben wir im Gottesdienst den Psalm ‚An den Flüssen von Babylon’ gehört. Die Kirche singt ihn während des Gottesdienstes in der Zeit der Vorbereitungswochen auf die Großen Fasten. Dies ist ein geheiligtes Lied über die Juden, das einige Jahrhunderte vor Christi Geburt entstand. Der babylonische König Nebukadnezar (Nabuchodonosor) verwüstete das ganze jüdische Land, zerstörte den Jerusalemer Tempel und führte das gesamte jüdische Volk in Gefangenschaft. Dort, in einem fremden Land, saßen die Juden und trauerten um ihre Heimat und ihre Abkehr vom wahren Gott. Ihr tiefes Klagen und ihre tiefe Reue kamen in den traurigen Klängen dieses Liedes zum Ausdruck.
Warum verweist uns die Heilige Kirche am Vorabend der Großen Fastenzeit auf diesen Hymnus? Um, Brüder und Schwestern, in uns den Geist der Reue zu wecken, um auch uns an das Himmlische Vaterland zu erinnern, das wir durch den Sündenfall verloren haben und das durch die Buße für unsere Sünden wiederhergestellt werden kann. Buße bedeutet umkehren, bedeutet aufzuwachen, unsere Sündhaftigkeit zu erkennen, unsere Gedanken, unsere Einstellung zu Gott, zu den Menschen und zum Leben selbst zu ändern und geistlich neu geboren zu werden. Der erste Schritt auf diesem Weg muss der Entschluss sein, die Sünde zu verlassen und zum Himmlischen Vater zurückzukehren, wie es im Gleichnis des heutigen Evangeliums über den verlorenen Sohn erzählt wird (Lk 15, 11-32). Darin sehen wir uns wie in einem Spiegel.
Ein Mann hatte zwei Söhne. Und auf einmal kam der Jüngste zu seinem Vater und sagte: „Gebt mir meinen Anteil am Erbe“. Sich mit einer solchen Bitte an den Vater zu wenden, war eine unerhörte Frechheit. Jedoch der liebende Vater teilte den Nachlass auf und gab seinem Sohn, was ihm zustand. Dieser nahm es, ging in ein fernes Land und indem er dort ein ausschweifendes Leben führte, verprasste er den durch die väterliche Arbeit erworbenen Besitz und verlor alles, was er hatte. Er war so tief gesunken, dass er zum Schweinehüten geschickt wurde, und dass er froh war, seinen Hunger mit den Schweinen zu stillen. Plötzlich aber erfuhr er in seiner Seele eine Erleuchtung. Er erkannte, wessen er sich beraubt hatte, als er in dem fernen Land voller Spaß und Vergnügungen nach sich selbst suchte, und fasste den festen Entschluss: „Ich werde zum Vater gehen, Buße tun und ihm sagen, dass ich nicht würdig bin, mich seinen Sohn zu nennen, nimm mich als einen deiner Tagelöhner an.“ Der verlorene Sohn hatte den Weg der Umkehr eingeschlagen. Mit großer Freude und Liebe nahm Vater seinen reuigen Sohn auf, richtete ihm ein Festmahl aus und gab ihm seine Würde als Sohn zurück.
Das heutige Gleichnis aus dem Evangelium, Brüder und Schwestern, zeigt, worin wahre Reue besteht und wie man büßen muss. Um Buße zu tun, muss man „zu sich selbst kommen“, wie es der verlorene Sohn tat, das heißt, man muss seine Sünden sehen und verspüren, muss sie bereuen und seine Schuld vor Gott erkennen. Wer seine Sünden eingesehen hat, muss sein sündiges Leben verlassen und ein Leben nach dem Evangelium beginnen, ein Leben in Gott. Dann muss man den Entschluss haben, sich zum Mysterion der Buße zu flüchten, seine Sünden vor Gott und dem Hirten der Kirche zu bekennen, in der demütigen Hoffnung auf Gottes Barmherzigkeit, Menschenliebe und Vergebung. Man muss die sündigen Gedanken, Worte und Taten zu bereuen, mit dem festen Vorsatz, künftig nicht zu ihnen zurückzukehren.
Hüten wir uns, Brüder und Schwestern, vor dem Weg der Sünde, der den verlorenen Sohn in den Zustand des tiefsten Falls geführt hat, und eilen wir in tätiger Reue zum Himmlischen Vater. Erinnern wir uns daran, dass Gott uns die Buße zum Heil geschenkt hat. Bereiten wir uns in den verbleibenden Tagen auf die Große Fastenzeit vor, die vor allem eine Zeit der Buße ist, nach dem Wort der heiligen Väter „der Frühling der Seele“, da die Seele, gereinigt von den Sünden und Leidenschaften, zu einem neuen Leben in Gott aufersteht. Gebe Gott, dass wir, so vorbereitet, die strahlende Auferstehung Christi, das Hauptfest unseres Lebens, würdig feiern und sehen, dass der Herr, der selbst die Sünde, den Teufel und den Tod besiegt hat, diesen Sieg auch einem jedem Sünder schenkt, der Buße tut und in das Vaterhaus zurückkehrt, der so siegreich wird durch die Göttliche Kraft und die Göttliche Gnade. Amen.