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06 Januar 2020 - Weihnachtsbotschaft des Patriarchen von Moskau und der ganzen Rus‘ Kirill

Die Berlin-Deutsche Diözese > Aktuell > Weihnachtsbotschaft des Patriarchen von Moskau und der ganzen Rus‘ Kirill

an die Oberhirten, Hirten, Diakone, Mönche und Nonnen und alle treuen Kinder der Russischen Orthodoxen Kirche

Im HERRN geliebte Oberhirten, hochwürdige Priester und Diakone, gottliebende Mönche und Nonnen, liebe Brüder und Schwestern!

Herzlich beglückwünsche ich euch alle zum lichten Fest der Geburt unseres HERRN und Heilands Jesu Christi.

Das wundervolle Mirakel der Menschwerdung Gottes, das vor mehr als zweitausend Jahren geschehen ist, erfüllt unsere Seelen auch heute mit unsagbarer Freude. Heute ist Gott auf die Erde gekommen – und der Mensch in den Himmel hinaufgefahren (Stichiron in der Festvesper). Der Schöpfer und Fürsorger von allen ist in der Welt erschienen, denn er konnte in seiner Barmherzigkeit nicht die Menschen ansehen, wie sie vom Teufel gequält wurden (Abfolge der heiligen Taufe); durch seine Liebe besiegt, ist der Anfangslose und Unaussprechliche gekommen, um sein verirrtes Geschöpf zu finden (Kontakion zum Gleichnis von der verlorenen Drachme vom hl. Romanos dem Meloden).

Die erstaunlichen Weissagungen der großen Künder des Wortes Gottes sind wahr geworden – und der Menschheit, die jahrtausendlang ihre Erlösung und Errettung erwartete, die unter der Sündenlast umkam, die unter der Verdammnis nicht nur im irdischen Leben litt, sondern auch nach dem Sterben, wurde die himmlische Tür aufgemacht. Von der ewig blühenden Jungfrau nahm unser HERR Jesus Christus das Fleisch (Kanon auf die Geburt der Allheiligen Gottesgebärerin) – und der Cherub, der mit dem Feuerschwert den Eingang ins Paradies bewachte, tritt vom Lebensbaum zurück (Stichiron der Festvesper). Das göttliche Kind wurde für die Erlösung der Welt geboren, war dem Gesetz unterstellt, damit er die freikaufe, die unter dem Gesetz stehen, und damit wir die Sohnschaft erlangen (Gal 4, 4-5).

Die Demut des HERRN ist unbegreiflich: Er, der der allmächtige Herrscher ist, erscheint den Menschen als ein hilfloses Kind; er, der Gott ist, nimmt das verwesliche Fleisch an und erduldet die Beschwerlichkeiten des irdischen Lebens; er, der unsterblich ist, geht freiwillig zum qualvollen und schändlichen Tod. Er tut es nicht um der Auserwählten willen – der Propheten, der Gerechten und seiner gläubigen Diener. Christus kommt um eines jeden von uns willen, er will alle ohne Ausnahme retten – Sünder und Verbrecher, Gleichgültige und Nachlässige, Ängstliche und Zornige, sogar seine Mörder!

Der HERR lehnt niemanden ab, niemanden verachtet er, sondern zieht im Gegenteil unser Fleisch an, erneuert es durch seine Menschwerdung, durch das Leiden am Kreuz und durch die lebenbringende Auferstehung, er erhebt es in den Schoß der Heiligen Dreifaltigkeit, heiligt es durch das Verweilen zur Rechten des Thrones Gottes. Und wir werden dieses lebenschaffenden Leibes Christi, seines allreinen Blutes, das um eines jeden von uns willen vergossen ist, im Mysterium der Eucharistie teilhaftig und werden zu einem Leib und zu einem Blut nicht nur mit dem Erlöser, sondern auch miteinander.

Heute sehen wir leider jedoch, wie Wellen der Unruhen das Schiff der Kirche erschüttern, wie der Sturm der Zwietracht und der Kontroversen die Einheit der orthodoxen Gläubigen erschüttert, wie vom Feind und Versucher verblendete Menschen der Quelle des lebendigen Wassers die trübe und brackige Quelle bösartiger Häresien vorziehen (Kanon zu den heiligen Vätern des I. Ökumenischen Konzils). In dieser schwierigen Zeit müssen wir alle uns daran erinnern, dass der HERR für jeden von uns geboren, gekreuzigt und auferstanden ist, dass er die Eine, Heilige, Katholische und Apostolische Kirche auf Erden gegründet hat. Da wir zu der Kirche gehören, sind wir gerufen, Missverständnisse, Konfrontationen und Konflikte zu überwinden, Spaltungen zu heilen, denjenigen zu helfen, die die Schrecken des Krieges erleben, Bedrängnisse und Ungerechtigkeit erleiden.

Der HERR wird nicht in einem königlichen Palast geboren, sondern in einer armseligen Höhle, in äußerstem Elend. Man sollte meinen, was kann schlimmer sein als die Höhle, und was ärmer, als eine Krippe für das Vieh? Es gibt aber einen solchen Ort – und das ist die durch die Sünde ausgedorrte Wüste des Herzens eines Menschen, der sich von Gott entfernt hat, der lau, verwüstet und versklavt ist durch die Leidenschaften. Es liegt doch in unserer Kraft, unsere Seele zu einer Wohnstatt Gottes zu machen, sich daran zu erinnern, dass der HERR nah ist, und dass er demütig vor den Türen wartet, wann wir ihn endlich mit den Augen des Glaubens sehen, ihn in unser Leben einlassen, seine Worte hören, auf seine Liebe antworten und ihm ermöglichen, selbst in uns zu handeln.

Die ganze Welt jauchzt über die ruhmvolle Geburt des Heilands: die Engel singen Preisgesänge, die Hirten jubeln, die Weisen beten ihn an und bringen ihm die Gaben dar, und nur das erboste und von Neid erfüllte Herz des Herodes will nicht die göttliche Wahrheit annehmen, es freut sich nicht, sondern erzittert, nicht vor Gottesfurcht, sondern vor Kleinmut. Lasst uns nachdenken: Gleichen nicht auch wir ihm durch unsere Taten, wenn wir das eigene Wohlergehen und den Komfort auf den ersten Platz stellen? Haben wir nicht Angst davor, dass irgendjemand besser, talentierter und freundlicher als wir zu sein vermag? Tun wir einem solchen Menschen nicht Böses an, indem wir versuchen, ihn zu verletzen oder ihn vor anderen zu diffamieren, ihn vom Sockel zu stoßen, damit wir uns selbst auf die höchste Stufe erheben? Ist es dann nicht so, dass nicht der HERR und seine heiligen Gebote für uns zur Quelle der Wahrheit werden, sondern wir selbst? Geben wir nicht anderen Anstoß, indem wir eigene, uns gewinnbringende Erdichtungen als Wahrheit darstellen, zerreißen wir nicht den Leibrock Christi durch unsere ambitiösen Handlungen, säen wir nicht die Samen des Zwiespalts und Unmuts unter unseren Glaubensgeschwistern?

Indem wir heute auf das Gotteskind Christus schauen und uns von Angesicht zu Angesicht der göttlichen Wahrheit gegenüber stellen, lasst uns die Last der Leidenschaften und die Sünde, die uns umstrickt (Heb 12, 1), abwerfen, innige Gebete für die Stärkung der orthodoxen Einheit und die Mehrung der Liebe emporsenden, indem wir uns daran erinnern, dass die Liebe langmütig und freundlich ist, die Liebe nicht eifert, die Liebe nicht Mutwillen treibt, sich nicht aufbläht auf, sich nicht ungehörig verhält, nicht das Ihre sucht; sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles (1 Kor 13, 4-7).

In den gottesdienstlichen Festttexten wird nicht nur der um unserer Erlösung willen geborene HERR lobgepriesen, sondern auch diejenigen, durch die seine Menschwerdung möglich wurde – die Allreine Jungfrau Maria, ihr Verlobter, der gerechte Josef, die heiligen Vorväter. Lasst uns uns in diesem Festtag auch an unserer Nächsten gedenken: die Eltern und Freunde besuchen, ihnen Aufmerksamkeit schenken, gute Worte finden, ihnen für alles danken, was sie für uns tun. Möge der Allgütige Christus, der Urewige und Unbegreifliche, der mit dem unsichtbaren Vater immer Existente (Sedalion in der Festversper) in unserem Herzen wohnen, das mit der Liebe zu Gott und zum Nächsten erfüllt ist. Amen.

KIRILL

PATRIARCH VON MOSKAU UND DER GANZEN RUS‘

Weihnachten

2019/2020

Moskau